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Am Samstagabend trat der syrische Star-Pianist Aeham Ahmad in der Hövelhofer Krollbachschule auf, dazu las Demokrat Ramadani Texte aus Ahmads Biografie „Und die Vögel werden singen“. Eingeladen hatten zu dieser Veranstaltung das Interkulturelle Zentrum Hövelriege, der SJC Hövelriege e.V. und Sennekult e.V. in Hövelhof. Unter den 170 begeisterten Zuschauer*innen befanden sich auch zahlreiche geflüchtete Menschen aus Hövelhof und Schloß Holte-Stukenbrock.
Ahmad zog das Publikum vom ersten Augenblick an in seinen Bann. Auf virtuose Weise verwob er Klassik, Jazz, arabische und deutsche Volkslieder zu einem höchst abwechslungsreichen Programm, ließ seine kehlige Stimme in herzzerreißenden Tonfolgen in die Höhe schnellen und animierte das Publikum mehrfach zum Mitsingen. Demokrat Ramadanis kluge Textauswahl und einfühlsamer Vortrag rührten zahlreiche Zuschauer*innen zu Tränen. Ramadani, der als Kind die Flucht seiner Familie aus dem Kosovo miterlebt hatte, erwies sich als perfekter Bühnenpartner. Zur Freude der Veranstalter hatte Ahmad noch den kurdischen Trommler Ahmed Rachid mitgebracht, der das Programm durch das Spiel auf seiner Darbuka ergänzte.
Zwischen den Texten und Liedern ergriff Ahmad immer wieder selbst das Mikrofon. Er berichtete von der aktuellen Situation in Syrien und seinem Leben in Deutschland. Seine unbändige Lebensenergie und sein feiner Humor brachten die Zuschauer zum Lachen, öffneten ihre Herzen und machten die bedrückenden Berichte von Krieg, Gefängnis und Flucht erträglich. Dabei hatte Ramadani die erschreckendsten Passagen des Buches noch weggelassen, auch im Sinne der zahlreichen Kinder im Publikum. Als Ahmad schließlich seinen 10jährigen Sohn auf die Bühne holte und zum Singen einlud, brach der Saal in tosenden Jubel aus. „I am not a very good Familienvater tonight.“, sagte Ahmad schmunzelnd, dem glücklichen Gesichtsausdruck seines Sohnes zum Trotz.
Die Lebensgeschichte des Pianisten könnte nicht dramatischer sein. Als palästinensischer Flüchtling im syrischen Flüchtlingslager Yarmouk in Damaskus hatte er nach dem Beginn des Bürgerkriegs sein Klavier auf einen Anhänger gestellt und auf den zerbombten Straßen seines Viertels für die hungernden Menschen gespielt. Videos von diesen Auftritten gingen viral und bescherten ihm weltweite Aufmerksamkeit. Als IS-Kämpfer sein Klavier zerstörten, entschied Ahmad sich zur Flucht. Beim ersten Versuch wurde er gemeinsam mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Kindern ins Gefängnis geworfen und kam nur durch riesiges Glück wieder frei. Den zweiten Versuch unternahm er allein und schaffte es schließlich nach Deutschland. Ein Jahr später glückte die Familienzusammenführung.
Gegen Ende des Konzertes liest Ramadani eine Textpassage, in der Ahmad von seinen Schuldgefühlen berichtet, weil er Freunde und Eltern zurücklassen musste, weil viele andere die Flucht nicht schafften, weil sein Bruder seit Jahren verschwunden ist. „Warum darf ich hier in Sicherheit leben – und so viele andere dürfen es nicht?“ Da kommen dem Pianisten selbst die Tränen. In diesem Moment wird die ganze Grausamkeit einer Weltordnung spürbar, die so viele Menschen von einem Leben in Frieden, Freiheit und Wohlstand ausschließt.
Wer das Konzert am letzten Samstag verpasst hat, darf sich auf einen weiteren Auftritt von Ahmad in Hövelhof freuen. Gemeinsam mit dem Schauspieler Martin Bretschneider erarbeitet er einen Theaterabend mit dem Titel „A Mission For Sisyphos“, der am 28. und 29. Januar und am 4. Februar 2023 im Sportheim des SJC Hövelriege e.V. gezeigt wird.
Zusatzinfo:
Das Interkulturelle Zentrum Hövelriege wird vom SJC Hövelriege e.V. , Sennekult Hövelhof e.V. und Theater Impulse Bielefeld e.V. auf dem Gelände des SJC Hövelriege realisiert. Es wird im Programm „Dritte Orte“ des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW gefördert.